Hanau. Worauf kommt es im Leben wirklich an? Was ist wichtig? Was ist wesentlich? Diesen Fragen ging Autor John von Düffel bei einer Lesung in der Alten Johanneskirche gemeinsam mit rund 100 interessierten Zuhörern nach. Ein spannender Gedankenspaziergang mit vielen nachdenklichen Impulsen, die neue Blickwinkel auf alt Vertrautes eröffneten.
Eingeladen zu der Veranstaltung hatte die Arbeitsgemeinschaft Hospizdienst (AGH) in Kooperation mit dem Buchladen am Freiheitsplatz. Schon im Vorverkauf war das Interesse an dieser besonderen Lesung so groß, dass die Veranstaltung kurzerhand vom Café AJOKI nach oben in den großen Saal der Alten Johanneskirche verlegt wurde. Gemeinsam begrüßten Dieter Dausien vom Buchladen am Freiheitsplatz und AGH-Leiterin Annette Böhmer-Seeliger das Publikum. "Als ich das Buch gelesen habe, habe ich gedacht: Das hat er gar nicht für die Welt geschrieben, das hat er für den Hospizdienst geschrieben", verriet Böhmer-Seeliger. Viele Gedanken lassen sich gut auf die ambulante Hospizarbeit übertragen. Die rund 100 ehrenamtlichen Hospizbegleiter der AGH arbeiten mit Menschen zusammen, die von etwas nur noch sehr wenig hätten, nämlich Zeit. "Und die wollen sie mit Wesentlichem füllen." Wie dieses Wesentliche dabei konkret aussehe, sei individuell sehr verschieden.
Stimmungsvoll und tiefgründig, nachdenklich und auf den Punkt: In einer gelungenen Mischung aus Lesung, Gespräch und Dialog nahm John von Düffel seine Zuhörer mit auf einen ganz besonderen Gedankenspaziergang, der um fünf Uhr morgens an einem Neujahrstag im ligurischen Hinterland beginnt. Er verrät, dass Böhmer-Seeliger mit ihrer einleitenden Feststellung dabei durchaus Recht habe: Für ein anderes Buch hatte der Autor eine Palliativmedizinerin begleitet. "Ohne die Begegnungen und Erfahrungen, die ich hierbei gesammelt habe, hätte ich dieses Buch nicht geschrieben", stellt er fest. Geplant sei das Buch trotzdem nicht gewesen. Und doch wirke es auf eine Art nach, wie keines seiner anderen Werke. Noch heute bekomme er viele Nachrichten und Fragen dazu. Es hat gar nicht aufgehört zu wirken", berichtet er dem Publikum.
Das Buch folgt dabei der mittelalterlich-christlichen Tradition der Stundenbücher. Eine Art Wegbegleiter durch den Tag, aufgeteilt nach den Stunden und mit Platz für die verschiedensten Gedanken, die einem dabei so kommen können. Der Autor, der auch Philosophie studiert hat, ist überzeugt, dass Gedanken ganz unterschiedlich wirken, je nachdem, zu welcher Zeit und an welchem Ort sie gedacht werden. Beginnend um fünf Uhr morgens widmet er sich tiefgründig und nachdenklich dem Thema Askese. "Das große Missverständnis der Askese ist der Verzicht", stellt er fest. Es gehe nicht darum, sich von der Welt abzuwenden und auf etwas zu verzichten. Vielmehr gehe es darum, zu erkennen, wie wenig man brauche und was man wirklich brauche. Das Wenige und das Wesentliche eben. In einer Mischung aus Lesung und Gespräch hinterfragt er den Unterschied von Genuss und Konsum, er erläutert, was der Anblick des wahrhaft Schönem in einem Menschen auslösen könne. Hier kann es durchaus großen Genuss ohne Konsum geben. Und er widmet sich existenziellen Fragen der menschlichen Existenz: Würde ich anders leben, wenn ich wüsste, wie viele Tage mir noch bleiben? Kommt das Beste noch oder war es das schon? Wie lebe ich richtig? Fragen, die unmittelbar mit der verbunden seien, in welcher Geschichte man sich befinde. "So lange das Spiel noch nicht zu Ende gespielt ist, kann sich alles noch ändern." Das Ende werde jedoch immer von anderen erzählt. "Den Satz ‚Ich war tot‘ kann es nicht geben." Bei aller Tiefe der Thematik und der Klarheit der Worte fehlte aber auch die passende Prise Humor nicht. Im Gespräch mit dem Publikum beantwortete er gerne weitere Fragen und stellte abschließend fest, dass die Einladung nach Hanau auch für ihn ein fühlbares Geschenk gewesen sei.