Langenselbold. Gesellschaftlich wichtigen Themen eine Bühne bieten, mit Vertretern der Politik ins Gespräch kommen und konstruktive Ansätze finden: Zum zweiten Mal hieß es am Dienstagabend im Langenselbolder Schloss "Caritas trifft Politik". Unter der Frage "Sind wir nicht alle süchtig" standen dabei dieses Mal die Themen Sucht und Suchthilfe im Mittelpunkt der Veranstaltung.
Ein Thema, das es nur selten in die öffentliche Wahrnehmung schafft, für Betroffene aber von großer Bedeutung ist, wie Dr. Tatjana Müller-Neugebauer, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Main-Kinzig-Kliniken Schlüchtern, in einem kurzen Impuls-Vortrag verdeutlichte. Egal ob Alkohol oder Nikotin, Glücksspiel oder Online-Medien: Die Liste an Dingen, von denen man abhängig werden kann ist lang. Die Frage "Sind wir nicht alle süchtig?" beantwortete sie dennoch mit einem klaren Nein: "Wir sind nicht alle süchtig, aber wir konsumieren." Bei einer Sucht handele es sich um eine schwere und chronische Erkrankung mit Veränderungen im Gehirn und massiven Folgen für die Betroffenen. "Sie erleben viel Leid und Scham", stellt sie fest. Auch wenn Betroffenen etwas ändern wollen, sei dies ein schwieriger und langwieriger Weg. Gleichzeitig werden Menschen mit einer Suchterkrankung gesellschaftlich stigmatisiert. Dabei verdiene es größten Respekt, wenn jemand versuche, mit dieser Erkrankung umzugehen. "Suchtkranke Menschen sind krank und brauchen, wie jeder Kranke, Hilfe", stellt sie fest. Doch schon bei der Frage nach der Finanzierung dieser Hilfe wird deutlich, dass es Probleme gibt. Unterschiedliche Kostenträger, ein hohes Maß an Bürokratie und nötigen Anträgen führen für Suchtkranke häufig zu einer Odyssee in der sich das Motivationsfenster der Betroffenen wieder schließe. "Das ist tragisch."
Doch auch für die freien Träger der Suchthilfe ist die Situation alles andere als einfach, wie Ingo Bischoff, kommissarischer Geschäftsführer des Caritas-Verbandes für den Main-Kinzig-Kreis und Leiter des Fachbereichs Beratungsdienste, erläuterte. Seit über 30 Jahren gehört die Suchtberatung zum breiten Angebote des Caritas-Verbandes. Damals sei eine Stelle über den Main-Kinzig-Kreis und eine über die Caritas finanziert worden, hier zu einem großen Teil über Kirchensteuermittel. Die durchschnittliche Wartezeit für Hilfesuchende lag damals bei rund 14 Tagen bis zu einem ersten Gespräch. Inzwischen betrage diese rund acht Wochen. Und auch der Finanzierungsanteil der Suchtberatung liege heute nur noch bei 43 Prozent. Den Rest müsse man auf anderem Wege erwirtschaften. Bischoff betonte ausdrücklich die gute Zusammenarbeit mit dem Main-Kinzig-Kreis. Trotzdem schloss er sich der Forderung der hessischen Caritas an, dass Suchthilfe ein Teil der Daseinsvorsorge werden und ihre Finanzierung gesetzlich gesichert werden müsse.
Nach diesen Eindrücken aus der Praxis ging es dann in das Gespräch mit den Politikern. Auf dem hochkarätig besetzten Podium saßen Oliver Ulloth (SPD), Max Schad (CDU), René Rock (FDP), Christiane Böhme (Die Linke) und Marcus Bocklet (Die Grünen). Moderiert von Carsten Ullrich blickten sie auf die vorhandenen Beratungsangebote für Suchtkranke in Hessen, die Schwierigkeiten in der Finanzierung dieser Angebote und den hohen Bürokratieaufwand, der sich hier verbirgt. Dabei stellten auch die Politiker fest, dass es sich bei der Suchthilfe um ein Thema handele, dass nur selten öffentlich diskutiert werde. Umso wertvoller seien Veranstaltungen wie jene am Dienstag, bei der die Politiker in Austausch mit Menschen aus der Praxis kommen können, wie Ulloth feststellte. Als regionaler Politiker stellte Schad fest, dass es im Main-Kinzig-Kreis eine sehr gute Beratungslandschaft mit vielfältigen Angeboten für Betroffene gebe. Diese gelte es auch für die Zukunft abzusichern und zu erhalten. Die Frage der Finanzierung werde dabei aber auch zukünftig weiter eine Thema bleiben und sich eher noch verstärken: "Die Finanzierung bleibt kontinuierlich ein Thema", so Schad. Auch Böhm sieht in den immer knapper werdenden finanziellen Mitteln der Kommunen einen Knackpunkt. "Ich glaube nicht, dass eine Kommune sagen würde, das Thema sei ihr nicht wichtig", stellte sie fest. Es fehle schlicht an den finanziellen Möglichkeiten. Bocklet warf ein, dass es seiner Ansicht nach auch noch an einem Konsens darüber fehle, welchen Bedarf es denn in Hessen grundsätzlich gebe brachte ein Drogenhilfegesetz für Hessen in die Diskussion. Eine Idee, die Rock nicht teilt: "Wer Bürokratieabbau in den Mund nimmt, sollte nicht gleichzeitig ein neues Gesetz fordern." Der Vizepräsident des hessischen Landtags lobte das Engagement des Caritas-Verbandes, mit der Veranstaltung Lobbyarbeit für Menschen betreibe, die dies selbst nicht könnten. Nur selten habe er in seiner politischen Laufbahn einen so gut gefüllten Raum gesehen, wenn es um ein solches Thema ging. Mehr als 70 Gäste hatten sich im Stucksaal des Langenselbolder Schlosses eingefunden, unter ihnen auch viele Ärzte, Suchtberater oder Mitglieder von Selbsthilfegruppen für Suchtkranke. "Jeder von ihnen hat bewiesen, dass ihm das Thema wichtig ist." Dies freute auch Jochen Honikel, den stellvertretenden Vorsitzenden des Caritas-Verbandes, der sich für die konstruktive und lebhafte Diskussion bedankte. Denn genau darum gehe es bei "Caritas trifft Politik": Den Austausch miteinander: "Wir gehen nicht dagegen, wir nehmen Leute mit. Wir stellen keine knallharten Forderungen, wir werben für eine Sache", so Honikel. "Wir kämpfen nicht für uns, sondern machen einen Fingerzeig: Das sind Probleme unserer Gesellschaft und daran müssen wir arbeiten." Dass dies auch im Bereich der Suchthilfe der Fall ist, habe die Veranstaltung auf alle Fälle gezeigt.