Hanau. Die moderne Medizin eröffnet heutzutage viele Möglichkeiten. "Viele Möglichkeiten führen aber auch zu vielen Fragen", wie der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Hospizdienst, Meinrad Wösthoff, weiß. Gemeinsam mit AGH-Leiterin Annette Böhmer-Seeliger freute er sich deshalb im Dezember, mit Rechtsanwalt Wolfgang Putz einen ausgewiesenen Experten in Sachen Patientenrechte in der Mensa der Karl-Rehbein-Schule begrüßen zu dürfen. Unter der Überschrift "Das Recht auf ein friedliches Sterben" informierte Putz in einem öffentlichen Vortrag für interessierte Bürgerinnen und Bürger, worauf es am Lebensende ankommt und wie die rechtliche Grundlage in Sachen Patientenrechte aussieht.
Wie sehr Putz dieses Thema am Herzen liegt, wurde in seinem Vortrag schnell deutlich. Neben Rechtswissenschaften und Politik hat der Münchner Rechtsanwalt auch Humanmedizin studiert und ist Lehrbeauftragter für Medizinrecht und Medizinethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit vielen Jahrzehnten setzt er sich für die Rechte von Menschen an ihrem Lebensende ein, vertritt sie und ihre Angehörigen juristisch bei der Durchsetzung ihrer Wünsche. Eine Zeit, in der sich im Medizinrecht einiges verändert hat, wie er feststellt. "Wir leben in einer lebendigen Gesellschaft und diese ist im stetigen Wandel", stellt er fest. Dem passe sich auch die deutsche Rechtsprechung immer wieder an und zwinge die Medizinwelt zu Veränderungen. Dabei hob er besonders zwei wichtige Urteile hervor, die für die Stärkung der Patientenrechte von großer Bedeutung waren und sind: Das sogenannte "Kemptener Urteil", mit dem der Bundesgerichtshof 1994 entschied, dass es bei Sterbenden mit weit fortgeschrittenem Leiden zulässig sei, auf künstliche Ernährung und andere lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten. Und ein ganz aktuelles Urteil aus dem vergangenen September, mit dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einer Patientin Schmerzensgeld für die Missachtung ihrer Patientenverfügung zugesprochen hat. "Das sind 30 Jahre höchstrichterliche Rechtsprechung die uns zu unseren Rechten am Lebensende verhelfen", fasst er zusammen. Dennoch laufe in der Praxis längst nicht alles so, wie es nach den juristischen Vorgaben könnte und sollte. Der Druck, der mitunter ausgeübt werde, sei groß. Angehörigen fehle dann mitunter der Mut, für die Rechte ihrer Angehörigen zu kämpfen. Vorhandene Patientenverfügungen werden ignoriert und Behandlungen fortgeführt, auch wenn es für diese in manchen Fällen keine Indikation mehr gebe. "Die meisten unsinnigen Dinge resultieren aus rechtlicher und palliativmedizinischer Unkenntnis", fasst er zusammen. Dennoch wisse er auch, dass es auch für Ärzte und Pflegepersonal manchmal sehr schwierig sei, Patienten am Lebensende gehen zu lassen. Diese müsse man ebenfalls begleiten und mitnehmen bei den Entscheidungen. Es geht aber auch um die grundsätzliche Haltung: "Wir dürfen nicht fragen, ob wir jemanden sterben lassen. Wir müssen uns fragen: dürfen wir das Sterben weiter verhindern", fasst er einen der Grundgedanken der Palliativbewegung zusammen. Denn auch darin kann großes Leid liegen, wie die zahlreichen Praxisbeispiele, die er dabei hatte, eindrücklich vermittelten.
Auch die Bedeutung einer Patientenverfügung betonte Putz noch einmal ausdrücklich und wie wichtig es sei, sich mit seinen Angehörigen über dieses Thema zu unterhalten. Nur so können diese in der entsprechenden Situation auch Entscheidungen im Sinne des Patienten treffen. "Es ist eine Verantwortungslosigkeit, wenn Sie das nicht thematisieren", betont er. Im Anschluss an den Vortrag gab es die Möglichkeit für die Anwesenden, Fragen zu stellen, die rege genutzt wurde. Und auch wenn der Abend sicherlich nicht alle Fragen endgültig beantworten konnte, so wurde dennoch eins deutlich: Um die Umsetzung der persönlichen Wünsche am Lebensende einfordern zu können, muss man seine Rechte kennen. Und selbst dann fühle sich das, was in der Theorie so einfach klinge, in der Umsetzung doch oft sehr schwierig an, wie AGH-Leiterin Annette Böhmer-Seeliger zusammenfasste. Sie lud die Anwesenden ein, bei Fragen gerne auch das Gespräch mit der AGH zu suchen, sich ermutigen zu lassen oder Rat einzuholen. "Wir sind immer für Sie ansprechbar."
Neben dem öffentlichen Vortrag nutzte die Arbeitsgemeinschaft Hospizdienst das Fachwissen des Anwaltes am nächsten Tag noch weiter für eine interne Fortbildung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerkes im Main-Kinzig-Kreis. Auch hier arbeiteten die rund 50 Teilnehmenden weiter an verschiedenen Themen unter dem Fokus der Rechtsklarheit bei der Patientenversorgung am Ende des Lebens.